Eine Deutsche aus dem Ruhrpott verliebt sich in die Glarner Ferienregion Elm. Vor wenigen Wochen durfte ich eine aussergewöhnliche Dame kennenlernen, die ihren Weg ins Chliital gefunden hat und hier ihre Geissen hütet – allesamt mit dem Glarner Markenzeichen geschmückt.
«Es ist schon viele Jahre her, dass wir das erste Mal nach Elm kamen», begann Heidi Busse ihre Geschichte, kurz nachdem ich angekommen war, wir uns kurz vorgestellt hatten und sie mich in Richtung Stall führte. Der Stall war leer, wie ich schnell feststelle – denn die Geissen befanden sich momentan auf der Alp.
Ursprünglich war Elm ein Ferienziel gewesen, welches Heidi aber schon beim ersten Besuch direkt in seinen Bann gezogen hatte. Wohin auch immer Heidi mit ihrem Mann danach in den Urlaub fuhr – sie wussten beide genau: es war zwar meistens auch anderswo ziemlich schön, aber es war nicht Elm.
So kam es, dass es Heidi immer wieder in den Ferien nach Elm zog, wo sie nach und nach einige Einheimische kennenlernte – und die Einheimischen lernten Heidi kennen.
«Ich sass eines schönen Ferientages in Elm im Liegestuhl mit meinem Mann, und merkte ganz klar, wie wunschlos glücklich ich in diesem Moment war. Ich hatte alles, was ich brauchte: meinen Mann neben mir und um mich herum das wunderschöne Elm.»
Nach und nach wurde dem Paar klar, dass es sich gerne eine festere Verbindung zu Elm wünschte. Als dann ein Grundstück mit Haus frei wurde, wagte das Paar den Schritt und verlegte vor zwei Jahren seinen Lebensmittelpunkt nach Elm.
Dass sie sich Geissen zulegen würde, wusste Heidi damals noch nicht. Es war eine lange Geschichte, die mit der Faszination an der Arbeit eines benachbarten Geissenhirtes begann. Täglich kam sie vorbei, um ihm bei seiner Arbeit mit den Tieren zuzusehen. Er bemerkte dies natürlich, und irgendwann kam der Tag, an dem er sie zu sich winkte und sie selbst mithelfen durfte. Bei ihm lernte sie alles, was sie heute über Geissen weiss.
«Die Motivation, die mich nach und nach zu meinen eigenen Geissen brachte, war keineswegs landwirtschaftlich geprägt», erklärte Heidi. «Zu meiner ersten Geiss kam ich beispielsweise, weil ich sie vor dem Schlachten bewahren wollte. Meine eigenen Geissen sind für mich beinahe so etwas wie Haustiere. Natürlich müssen sie aber anders gehalten werden als ein Hund oder eine Katze! Doch ich lebe nun inmitten der Glarner Alpen, und eigene Geissen gehören da für mich einfach mit dazu.»
Es begann ein wenig zu regnen und Heidi führte mich nun ins Haus, vorbei an einer Fahne im Schakra-Stil, selbst gemacht aus verschiedenfarbigen Glarner Tüechli, die im Wind spielen. Das Wohnzimmer ist gemütlich eingerichtet, ein Canapé steht inmitten des Raumes vor dem grossen Fenster, mit Blick in Richtung Berge. Auch in der Stube findet sich das Glarner Tüechli-Muster an verschiedensten Stellen und die Wände sind geziert von Bildern der Alpen. Die Wendungen des Lebens haben Heidi und ihren Mann zu einer sehr auf den Augenblick ausgerichteten Lebenseinstellung bewegt. «Wir geniessen jeden einzelnen Tag und jeden Moment hier in den Bergen», erklärte sie mit Blick auf das Canapé vor der Fensterfront. «Wir haben uns die Wohnung so eingerichtet, dass wir uns hier wohlfühlen und jeden Tag wie einen Urlaubstag geniessen können.»
Ich entdeckte über dem Küchentresen Fotos von Heidis Geissen. Auf die Frage, wie die Geissen zu ihren Glarner Tüechli kamen, hat Heidi eine ganz simple Antwort: «Für mich war es klar, dass die Geissen Halstücher bekommen würden. Es sieht einfach so schön aus. Dass es bei meinem Wohnort Glarner Tüechli werden würden, war nur naheliegend.»
Jede ihrer vier Geissen hat seine eigene Tüechli-Farbe, die sich durch die gesamten Fotos zieht und fast schon ein Erkennungsmerkmal für jede Geiss darstellt. Bei der Auswahl der Farben ging Heidi zum Teil nach eigenen Präferenzen: «Leo und Vicky, die zwei Geschwister, tragen je eine meiner zwei Lieblingsfarben. Bei Leo ist es das türksifarbene Glarner Tüechli, welches zu seiner Fellfarbe wunderschön passt. Vicky trägt das Tüechli in magenta.»
Heidis Leitbock, Sämi, hat ein blaues Tüechli verpasst bekommen. Eine wie Heidi findet, sehr männliche und zu ihm passende Farbe.
«Bei unserem jüngsten Geissbock, dem Frederico, schaute ich, welche Farbe am besten zu ihm passte.» Sie zeigte mir auf einem Foto den jungen, gescheckerten Geissbock. «Ich hatte drei verschiedenfarbige Glarner Tüechli in der Hand, ein gelbes, ein orangenes und ein grünes. Der Reihe nach band ich sie ihm um und erkannte beim Betrachten: Orange ist es. Du bist ein Orangener. Es ist ein schöner Anblick, wenn ich meine vier Geissen nun in der Wiese mit ihren Glarner Tüechli sehe – fast schon wie bunte Ostereier.»
Der Glarner Schmuck bei den Geissen schaut nicht nur großartig aus, sondern hat auch einen einmaligen Wiedererkennungswert. Als einmal eines ihrer Geissen ausriss und sich plötzlich auf dem Dorfplatz in Elm wiederfand, erkannte eine Elmer Kollegin sofort, zu wem die Geiss gehört und diese konnte sicher zu Heidi zurückgebracht werden.
Vom Tisch her duftete es verlockend nach frisch gebackenen Waffeln. Waffeln zu machen und zum Zvieri anzubieten ist eine deutsche Tradition, welche aber auch den Bewohnern in Elm gefalle – so Heidi. Der Anschluss in der Dorfgemeinschaft gelang dem Paar aus dem Ruhrgebiet erst mit der Zeit. Doch ihre Offenheit, ihre Bemühungen und die ehrliche Begeisterung für das Tal und Glarner Traditionen sorgten dafür, dass sie mehr und mehr Kontakte knüpften. Bekannt ist Heidi in Elm nun als «Geissen Heidi» und fühlt sich als solche dort auch sehr wohl.
Den Drang, das Tal beispielsweise für einen Ausgang ins Zürcher Theater oder einen grösseren Ausflug zu verlassen, verspürt Heidi nicht. Sie hat hier alles, was sie braucht. Lediglich um die Familie oder Freunde aus ihrer alten Heimat zu treffen, verbringt sie ab und an Zeiten ausserhalb des Dorfes. «Wenn man jung ist, zieht es einen in die Städte und zum pulsierenden Leben. Aber nach den vielen Jahren, die ich im Ruhrpott gelebt habe, mit all der Action, die das Stadtleben beinhaltet, durfte ich schon vieles sehen und erleben. Da habe nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich hier in Elm bleibe.» Sie deutete auf ihre Wohnung und das Fenster mit Blick ins bewölkte, aber eindrückliche Alpenpanorama. «Ich habe meine engste Familie um mich und lebe in einem wunderschönen Dorf inmitten der Natur mit meinen Geissen. Viel mehr brauche ich nicht.»
Interview und Text: Charlotte Freund
Bilder: Maya Rhyner und Charlotte Freund